Die wunderbare Welt der Jahreshauptversammlung

Wer Mitglied in einem Golfclub ist, sollte einmal im Leben an einer Jahreshauptversammlung teil nehmen. Zum Einen sieht man dort Menschen, denen man noch nie zuvor begegnet ist – obwohl man fast täglich auf dem Platz ist – zum anderen kann man besser einschätzen, ob man bei der Führungsriege in guten Händen ist. Aufmerksamen Lesern ist sicherlich aufgefallen, dass in meinem Eingangssatz das Wörtchen mindestens fehlt. Denn, wenn meine Erfahrung repräsentativ sein sollte, hat man nach einem Mal auf Jahre genug von dieser Veranstaltung.

Dass ich überhaupt in diesem Jahr teilnahm, lag daran, dass ich einen Antrag gestellt habe. Der Inhalt (es ging um Hologrammkennzeichnung und unsere Fernmitgliedschaften) dürfte niemanden interessieren, daher verzichte ich an dieser Stelle darauf einzugehen. Viel interessanter ist jedoch, was damit passierte. Denn als die aktualisierte Tagesordnung verteilt wurde, befand sich mein Antrag nicht darauf – angeblich sei mein Fax nie angekommen, hieß es. Dass ich zwei Mal gefragt hatte, und man mir zwei Mal sagte, es sei wohl schon alles klar gegangen, spielte keine Rolle mehr. Wäre ich ein zynischer Mensch, würde ich sagen, dass die mögliche Aussicht auf einen Einnahmenverlust von 45000 Euro dem Vorstand nicht in den Kram gepasst hat (zumal der Präsident eine Abstimmung über eine nachträgliche Aufnahme in die Tagesordnung abbügelte), aber so eine böswillige Unterstellung würde ich mir nie erlauben. Ich denke vielmehr, dass es mit Inkompetenz zu tun hatte.

An dieser Stelle hatte ich mir kurzfristig überlegt, die Veranstaltung zu verlassen, aber dann bin ich doch sitzen geblieben. Könnte ja einen interessanten Blog-Artikel ergeben. Und das tat es dann auch. Denn das, was sich über die nächsten 4 1/2 Stunden entwickelte, hätte man eher von einem Schützenverein erwartet. Teilweise erinnerte es an eine Karnevalsveranstaltung. Nur leider fehlte ein DJ, der alle zwei Minuten Tätä Tätä Tätä einspielte.

Bedingt wurde das Ganze durch die Zusammensetzung der Anwesenden (zur Einschätzung: weniger als 15% der Mitglieder waren dabei und entschieden über sämtliche Belange), die man wie in amerikanischen Highschool-Filmen in verschiedene Cliquen einteilen kann:

  • Die Semantiker: Bereits vor Beginn der Versammlung nehmen sie sich die Tagesordnung und kringeln jeden einzelnen Rechtschreibfehler an. Im Verlauf der Sitzung stellen sie Fragen nach jedem Detail der schriftlichen Berichte, von einzelnen Zahlen bis hin zu scheinbar unverständlichen Formulierungen.
  • Die Preisboxer: Sie tragen persönliche Animositäten in die Öffentlichkeit, und sind oft nur anwesend, um die Anträge des jeweiligen Gegners abzuschmettern.
  • Die Klassizisten: Ihre Einstellung ist: Das haben wir immer schon gemacht, das muss so bleiben. Wenn doch Änderungen beschlossen werden, ist dies ein persönlicher Affront.
  • Die Selbstdarsteller: Sie werfen sich in Schale, gehen vorher vermutlich noch mal zum Friseur und können es kaum erwarten, bis sie zu Wort kommen und in vorher einstudierter freier Rede eloquent und mit möglichst vielen Fremdwörtern und Zitaten den Rest der Anwesenden beeindrucken.
  • Die Brutus-Fraktion: Sie reicht kurz vor der Deadline einen Antrag ein, der normalerweise auf große Widerstände treffen würde. Doch weil die Betreffenden darüber keine Kenntnis haben, sind sie nicht in der Lage, ihren Widerstand zu formieren und werden überrumpelt.
  • Die Wackeldackel: Sie sind grundsätzlich mit allem einverstanden was der Vorstand vorschlägt und nicken sämtliche Anträge der Führungsriege ab.
  • Die Überforderten: Sie sitzen meistens am Kopftisch und haben die Versammlungsführung in ihren Händen, die ihnen spätestens bei der Diskussion der Anträge aus der Mitgliederschaft vollkommen entgleitet. Darüber hinaus begehen sie Fehler, die im Nachhinein eine komplette Annulierung der Versammlung nach sich ziehen könnten.

Wie man sich vorstellen kann, kommt es bei so vielen verschiedenen Interessengruppen zu teilweise hitzigen Diskussionen, die am Ende – egal wie sie aussehen – nur eines bewirken können: Zumindest eine Seite in ihrer persönlichen Ehre zu kränken und dem Clubleben tiefe Risse zuzuführen. Es ist teilweise schon bestürzend zu erleben, dass einige Seiten offenbar unfähig sind, ihre Differenzen vorab zu klären. Stattdessen soll das Plenum in einer Abstimmung darüber entscheiden, wie die Dinge in Zukunft ablaufen sollen. Ein Plenum wohlgemerkt, dass zu großen Teilen überhaupt nicht von diesen Dingen tangiert ist. Da entscheiden Männer über Interna aus der Damenspielgruppe und Junioren und Jungsenioren über Angelegenheiten der Senioren. Man stelle sich mal einen Fussball-Bundesligisten vor, bei dem die Zuschauer darüber entscheiden, wann die Profis zum Training zu erscheinen haben, in welchem Trainingslager sie sich auf die Saison vorbereiten und was es morgens zum Frühstück gibt. Es gibt gute Gründe, dass in Deutschland keine Volksabstimmungen vorgesehen sind. Ein Ansatz, der auch im Vereinsleben öfter mal berücksichtig werden sollte. Zu schade, dass der deutsche Bürokratie- und Regelungswahn immer wieder auf alle Aspekte des Lebens übergreift.

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